Textforschung oder auch Textkritik nennt man die wissenschaftliche Vorgehensweise, bei welcher man die alten Handschriften vergleicht, um den Bibeltext möglichst nahe am ursprünglichen Originalmanuskript der inspirierten Bibelschreiber zu rekonstruieren.

 

Die Textkritik ist bis zu einem gewissen Punkt ein sehr nützliches Mittel, um die umstrittenen Stellen der verschiedenen Bibelübersetzungen beurteilen zu können. Allerdings verlässt man sich im Allgemeinen bei der Textkritik zu sehr auf den wissenschaftlichen Aspekt und vergisst dabei, dass alle noch erhaltenen Handschriften selbst auch nur Abschriften sind, also kein unbedingter Garant für den Originaltext. In einem Sachbuch zum Thema wird diesbezüglich Folgendes gesagt:

 

Viel zu selten rückt in den Blick, dass weder Kirche noch Wissenschaft den einen Bibeltext besitzen, sondern immer nur eine durch die Geschichte seiner Überlieferung vermittelte Kopie. Daraus geht hervor, dass der Text nicht nur das Fundament der Auslegung bildet, sondern selbst Gegenstand seiner historischen Erforschung ist. Abschreibfehler auszulegen, ergibt keinen Sinn. Deshalb stehen Kirche und Wissenschaft in der Pflicht, durch Berichtigung von überlieferungs-bedingten Fehlern einen zuverlässigen Bibeltext herzustellen und zu verantworten. (Alexander Achilles Fischer, Der Text des Alten Testaments, S.187)

 

Das Grundproblem der Textkritik wird hier gut formuliert geschildert. Auch die qualitativ beste Handschrift hat nicht immer und überall recht, jede von ihnen kann Abschreibefehler aufweisen, und man wird aus rein wissenschaftlicher Sicht nie entscheiden können, welche Leseart die richtige ist.

Sich vollständig auf die Wissenschaft zu verlassen kann daher keine Lösung sein, und die Kirche ist erst recht keine zuverlässige Hilfe, da sie ihre Entscheidungen sinngemäss zur überlieferten Tradition der Menschen trifft.

 

Es gibt nur eine Regel, auf die man sich immer wieder verlassen kann. Die oberste Regel zum richtigen Verständnis ist auch hier wieder der Kontext der ganzen Schrift. Denn sie kann sich nicht widersprechen, sie ist Gottes Wort (2.Timotheus 3:16).

 

 

Im Sachbuch Der Text des Neuen Testamentsvon Kurt und Barbara Aland, s.284-285, werden die Zwölf Grundregeln für die textkritische Arbeit beschrieben. Die 9. Regel besagt: Varianten dürfen nicht isoliert behandelt, sondern es muss stets der Kontext der Überlieferung beachtet werden...

Am Beispiel von 1.Timotheus 3:16, welches anschliessend als Veranschaulichung der Variantenbildung und ihrer Beurteilungbehandelt wird, lässt sich gut belegen, dass vor allem der Kontext der ganzen Schrift dafür von Bedeutung ist. Auf den Seiten 286-287 wird detailliert erklärt, wie die falsche Übersetzungsvariante ...Gott ist geoffenbart worden im Fleisch...(SB) an dieser Stelle zustandekam; korrekt übersetzt lautet sie: ...Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit. (LB). Der in der Veranschaulichung vermittelte Kerngedanke ist folgender:

Die Majuskelschrift, so schön sie sich ansieht (vgl. die Abbildungen), gibt durch die Ähnlichkeit mancher Buchstaben miteinander, aber auch selbst durch Buchstabenverwechslung Anlass zur Variantenbildung...

 

 

Codex Alexandrinus

 

Codex Sinaiticus

 

Dass Jesus Christus als Sohn Gottes, als dessen Gesalbter und Gesandter, nicht Gott selbst sein kann, zeigt der Bibelkontext deutlich. Nicht Jahwe war es, der im Fleisch offenbart und in die Herrlichkeit aufgenommen wurde, sondern sein Sohn. Jahwe hingegen war derjenige, der den im Fleisch geoffenbarten in die Herrlichkeit aufnahm.

Aus diesem Grunde sprechen sehr viele Schriftstellen aus der ganzen Bibel gegen die Variante im Codex Alexandrinus Gottund für den Codex Sinaiticus Er. (Siehe dazu: Dreieinigkeit - Jesus ist Gott?)